Es sind Berichte über Flucht, Brutalitäten und den Wirren des Zweiten Weltkrieges. Vor fast 70 Besuchern stellte der Autor und Filmemacher Clemens Reinders aus Haldern sein aktuelles Buch „Zeitzeugen 1939-1945“ in der Stadtbücherei Rees vor. Die Lesung zeigte eindrücklich, wie einschneidend und zerstörerisch die Herrschaft des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg für die Menschen am Niederrhein war. In jahrelanger Arbeit hatte Reinders Zeitzeugen vom Niederrhein befragt, die das Dritte Reich erlebt hatten. Insgesamt 25 Interviews konnte er sammeln und in seinem Buch veröffentlichen. Einige stellte Reinders bei seinem Vortrag in der Stadtbücherei vor.
Er begann mit Erich Sanders, einem jüdischen Jugendlichen aus Empel, der in einer abenteuerlichen Flucht über die Niederlande und Frankreich nach Spanien und von dort weiter nach Palästina gelangte, während der Großteil seiner Familie während des Holocaust ermordet wurde. Eine Frau hingegen hatte eher positive Erinnerungen an die Zeit, die sie als Jugendliche in der Gemeinschaft des BDM, der nationalsozialistischen Organisation für Mädchen, verbrachte.
Eine andere junge Frau arbeitete hingegen als Schwesternhelferin im zum Kriegslazarett umfunktionierten Krankenhaus in Emmerich. Hier erlebte sie schon nach dem Beginn des Frankreichfeldzugs 1940 die Schrecken des Krieges, als sie dort Verwundete pflegen musste. Heinrich Köster aus Bienen war Unteroffizier im Russlandfeldzug und verlor angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der sowjetischen Truppen bereits Anfang 1942 die Hoffnung auf einen deutschen Sieg. Besonders erschütternd war der Bericht von Alex Bettray, der als 17-jähriger Soldat den Mord an verwundeten russischen Soldaten miterlebte, sowie die Aussage von Hanni Fink, die als Jugendliche erlebte, wie jeden Morgen die Leichen aus dem Zwangsarbeiterlager Rees weggebracht wurden. Clemens Reinders unterlegte seinen Vortrag mit zahlreichen Originalfotos.
Für ihn sei bei seinen Recherchen interessant gewesen, dass mehrere Männer zugaben, dass sie als Kinder und Jugendliche eher zurückhaltend gewesen waren, bis sie durch die Hitlerjugend und die Erlebnisse im Krieg lernen mussten, sich brutal und rücksichtslos durchzusetzen.
Bewusst bewertete der Autor nicht die persönliche Einstellung seiner Interviewpartner zum Nationalsozialismus, was die Zeugnisse noch authentischer machte. „Mit der Dokumentation und Veröffentlichung dieser Zeitzeugenberichte leistest du enorm wichtige Arbeit für das Verständnis und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Herrschaft des Nationalsozialismus“, dankte Büchereileiter Thomas Dierkes dem Autor unter anhaltendem Applaus der Besucherinnen und Besucher.
In diesen Tagen jährt sich zum 80. Mal die Eroberung und Zerstörung von Rees gegen Ende des Weltkriegs, und die Lesung von Reinders zeigte eindrücklich, wie einschneidend und zerstörerisch die Herrschaft des Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg für die Menschen am Niederrhein war.
Die Lesung war ein Teil des Projekts „80 Jahre Freiheit“, das durch das Interreg-Programm Deutschland-Nederland sowie seinen Programmpartnern ermöglicht und von der Europäischen Union (EU) kofinanziert wird.